Mittwoch, 5. Februar 2014

Depesche vom Ende der Welt


Liebe Leute, es geht mir gut.
Ich bin umgezogen und freiwillig wieder einmal zum Landei geworden. Die Waschmaschine funktioniert, mein Bett steht und mein Schreibtisch auch, und ansonsten lebe ich seit Tagen zwischen Kisten. Es ist wunderschön hier. Ich blicke auf olle Schuppen und mehrmals Getautes und wieder Gefrorenes und Matsch und braunes Gestrüpp. Aber auch schwarz-weiße Pferde und braune Ponys, ab und zu eine Katze, viele Vögel, Schwärme von vorüberziehenden, krähenden Kranichen, und nachts funkeln die Sterne... In der Nähe gibt es viel wilde Heide, die durch freilebende Rinder renaturiert werden soll. Überall ist das ausführlich auf Schildern erklärt und die Wege sind mit EU-finanzierten Steinskulpturen gesäumt. Am Montag habe ich mich im Hauptort angemeldet; bei der Frage nach einer Wartenummer belächelte man mich ein bisschen – ich war die einzige. Überhaupt ist alles entspannt und freundlich, und das nur 1 Kilometer von der Berliner Stadtgrenze.
Was das mit Louisiana zu tun hat? Fast nichts. Außer, als ich heute früh so am Schreibtisch saß und wartete, dass meine unendlich langsame Internetverbindung – langsamer als ein louisianischer Postschalterbeamter, falls das möglich ist – mir eine Seite aufmacht, da fühlte ich mich plötzlich in mein Holzhäuschen in Baton Rouge zurückversetzt. Dort saß ich an einem riesigen, laut rauschenden Computer, der auch so langsam war, und sah mit einem durch Fenster und Gazeveranda gefilterten Blick ins Grüne: Feigenbäumchen, Bananenstauden, Crepe Myrtles und ab und zu der Postbote oder ein UPS-Mensch, und viel viel Sonne. Rinder und Pferde gibt es nicht allzu viele in Louisiana, aber die dortige Ruhe und Gelassenheit hoffe ich hier im kühlen Klima wiederzufinden. Mit der Postbotin habe ich mich auch schon bekannt gemacht.
Aus New Orleans gibt es auch Neues: Mitch Landrieu ist im ersten Wahlgang mit 64% zum Bürgermeister wiedergewählt worden*, der frühere Bürgermeister, die vormalige Lichtgestalt Ray Nagin steht weiter wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht, das mit BP und anderen Katastrophen ist noch lange nicht ausgestanden. 
Übrigens, NPR funktioniert hier draußen mindestens so gut wie in der Stadt. Dort zuletzt gehört: In der Sendung Tell Me More mit Michelle Martin ein Interview mit Soundbites der Sängerin Leyla McCalla, die auch Banjo und Cello spielt. Auf ihrem, per Crowdfunding finanzierten, Solodebüt hat sie Gedichte von Langston Hughes vertont und spielt auch haitianische Lieder, die sie in New Orleans kennengelernt hat. Sehr schön. Zu lesen und hören hier
Auch vor kurzem auf NPR: On Point mit Tom Ashbrook sendete aus New Orleans zum Thema „American Coastlines“, mit dem Times-Picayune-Kolumnisten Jarvis DeBerry, der Professorin Denise Reed von UNO und dem Wissenschaftler Tommy Michot vom Institute for Coastal Ecology in Lafayette. Hier.
* In diesem Artikel mehr über seinen Herausforderer der letzten Minute, Michael Bagneris, der 33% der Stimmen erhielt und Landrieu aufforderte, mehr in traditionell afroamerikanische Viertel zu investieren und die Sicherheit aufzustocken. Er stellte eine Besucherzahl von jährlich 9-10 Millionen einer Zahl von 1.200 Sicherheitskräften gegenüber. 
Was hier anders ist: Direkt vor meinem Fenster geht ein Weg entlang, den immer wieder Spaziergänger und Radfahrer frequentieren. Die meisten beäugen neugierig unser Haus. Ich habe mich noch nicht getraut zu winken, aber ich gucke zurück und genieße den kleinen Laufsteg des Stinknormalen hier vor dem Fenster.

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