Sonntag, 3. Februar 2013

Superbowl (Oder das Geschäft mit dem Sex)


Heute findet das große Superbowl-Spiel im Superdome von New Orleans statt. Auch hierzulande wurde viel darüber berichtet und New Orleans für seinen Wiederaufbau nach Katrina gelobt, so im Spiegel, in der Wiener Presse, in der NZZ und anderen. Es werden stolze Einwohner zitiert, es ist von den New Orleans Saints die Rede, die nach Katrina große Hoffnungsträger waren und u.a. wegen einer Kopfgeldaffäre jetzt nicht im Finale stehen. Es ist auch von den Gefahren für die Spieler die Rede, die ihren aggressiven Sport möglicherweise im Alter mit Demenz und anderen Spätfolgen bezahlen müssen. Es geht auch um die aufwendigen Werbespots, die gezeigt werden, wobei der VW-Spot für einige etwas rassistisch ausfiel.
Nur die Times-Picayune hat sich jetzt mit der dunklen Kehrseite solcher Großereignisse befasst, über die meist nicht gesprochen wird: die Prostitution. Diese hat fast immer mit Zwang zu tun und oft auch mit Menschenhandel, wie in dem Artikel deutlich wird. Im letzten Jahr wurde im French Quarter das Eden House eingerichtet, das Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution unterstützen will. Die Leiterin Clemmie Greenlee berichtet dort von ihrem eigenen Leidensweg: mit zwölf in die Prostitution gezwungen, geschlagen, gruppenvergewaltigt, unter Drogen gesetzt, zu erfüllende Quoten (mal 25, mal 50 Männer am Tag), die Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit. Mit 42 schaffte sie es, sich aus ihrer Situation zu befreien.
Clemmie Greenlee stammt nicht aus New Orleans, aber das tun viele der Sexarbeiterinnen auch nicht. Schließlich hat die Stadt ihren Ruf als Sündenbabel weg, und genau deshalb kommen viele hierher: um ihren Körper zu vermarkten oder um andere Körper zu konsumieren. Das fängt ziemlich harmlos damit an, dass die Touristinnen beim Karneval ihre Brüste zeigen (Show you tits!), um ein paar Plasteperlen zugeworfen zu bekommen, die männlichen Touristen und Konferenzteilnehmer in Stripteaseklubs gehen usw. Aber es kommen eben auch viele Frauen, um im einschlägigen Geschäft zu arbeiten.
Was mich besonders stört, ist der verbreitete Mythos, dass das ein freiwillig ausgeübtes Gewerbe sei. Als es vor vielen Jahren noch den Stripklub Big Daddy’s auf der Bourbon Street gab (der mit den neckisch durchs Fenster nach draußen schaukelnden Frauenbeinen), waren die meisten der Tänzerinnen zwar aus den Südstaaten, aber nicht aus Louisiana. Einige waren schon älter, viele auf Drogen, einige verschwanden auch mit Kunden auf der Toilette, was nicht gern gesehen war, und als sich eine beim Tanzen am Fuß verletzte, war sie völlig außer sich, denn sie hatte keine Krankenversicherung. Eine junge, sehr schöne Afroamerikanerin mit langer Perücke ertanzte sich auf diese Weise die Studiengebühr fürs College und wurde jeden Morgen von ihrem Freund abgeholt. Nun waren die sicher alle freiwillig da, aber ob sie abends erfüllt und glücklich ins Bett sanken, daran habe ich meine Zweifel. Viele Prostituierte, das ist auch bekannt, haben eine Missbrauchsgeschichte.
Mich erinnert das auch an die gegenwärtige Sexismus-Debatte in unserem Land, in der eigenartigerweise manche gleich das ganze Verhältnis der Geschlechter in Frage gestellt sehen. Dabei sind doch viele Männer und Frauen viel weiter als die Politik, und um die geht es ja hier. (Natürlich muss man einen 67-jährigen Politiker fragen dürfen, wie er denn Hoffnungsträger sein will, und er darf niemandem verbal und tätlich an die Wäsche gehen. Natürlich darf dies spätestens in dem Moment publik gemacht werden, indem er eine neue Funktion übernimmt.)
Es erinnert mich auch daran, dass DDR-Frauen seit der Wende nicht mehr so einfach über ihre eigene Schwangerschaft bestimmen können und ihre Rolle als berufstätige Frau und Mutter nicht mehr selbstverständlich, sondern zum Teil in Frage gestellt wird, dass sie überall mit Nacktfotos konfrontiert sind. Dass heutzutage nicht nur politisch, sondern auch medial immer noch Kinder-Küche-Kirche propagiert wird und von abweichlerischen Rabenmüttern die Rede ist, dass eine vergewaltigte Frau in Krankenhäusern abgewiesen werden kann und dass auch ich vor nicht allzu langer Zeit keine Anzeige erstattet habe, weil man es mir ausgeredet hat und weil bekannt war, wie es Opfern sexueller Gewalt vor Gericht erging.
Es erinnert mich daran, dass hierzulande sowie in Österreich und der Schweiz Prostitution als eine wirtschaftliche Tätigkeit wie jede andere angesehen wird. Das ist für die Sexarbeiterinnen natürlich positiv, keine Angst vor strafrechtlicher Verfolgung haben zu müssen, krankenversichert zu sein usw. Aber Schweden, das Land in dem die Männer schon seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich die Hälfte der Elternzeit in Anspruch nehmen, hat einen anderen Weg gefunden: dass nämlich Prostitution illegal bleibt und nur die Freier strafrechtlich belangt werden. Offensichtlich ist dieses Modell erfolgreich und die Zahl der Huren und der Menschenhandel haben deutlich abgenommen. Und ich denke irgendwie auch, dass sich das auf das Frauenbild der Gesellschaft auswirkt.
„Glückliche Huren gibt es nicht“, heißt ein Artikel dazu, und ich, so als Frau, kann mir nicht vorstellen, dass die aufgebrezelten jungen Osteuropäerinnen in ihren Skihosen auf der Oranienburger Straße, dass die jungen Schwarzen, die sich in Washington, D.C. barbusig auf dem Autostrich anpreisen, dass die Damen in den Schaufenstern der Antwerpener Altstadt ihren Beruf mit Freude und absolut freiwillig ausüben. Und nicht doch von ihrer Herkunft und von ihrer Wahrnehmung und den Werten der Gesellschaft, in der sie sich bewegen, geprägt sind.
Deshalb bin ich froh, dass die Times-Picayune das thematisiert hat. Die Polizei in New Orleans hat bereits einige Festnahmen durchgeführt, darunter eine junge Texanerin, die mit ihrem vierjährigen Sohn, mit Freundin und Zuhälter angereist war und nach der Aufnahme in ein Obdachlosenasyl das Weite gesucht hat. Clemmie Greenlees Kommentar dazu: „Eigentlich wollen alle raus (aus dem Geschäft).“
Ach ja, in der Halbzeitpause singt wieder Beyoncé und die bessere Mannschaft wird sicherlich gewinnen und im ganzen Land werden unzählige Biere und Pizzen verzehrt werden. Bald dann werden die Einwohner wieder aus ihren Verstecken hervorkommen und sich dem eigentlich Wichtigen zuwenden: dem Karneval.

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