Mittwoch, 28. November 2012

Vom Winde verweht


Um gewisse Meilensteine der amerikanischen (Pop)-Kultur kommt man eigentlich nicht herum: Pollyanna, Dr. Seuss, The Sound of Music, Saturday Night Live... Und doch habe ich mich um einige bisher erfolgreich gedrückt, Star Wars zum Beispiel. Football habe ich nur einmal live und von Anfang bis Ende gesehen, wobei mich das tailgating (d.h. das Grillen, Feiern, auch Zelten auf dem Parkplatz am Stadion) am meisten beeindruckt hat. Baseball kenne ich nur als Softball für Schulmädchen und beim Training. Auch um Vom Winde verweht habe ich lange einen Bogen gemacht, bis es letzte Woche so weit war.
Es geht bekanntlich um Scarlett O’Hara, älteste Tochter eines Plantagenbesitzers in Georgia, der selbst irischer Abstammung ist und mit irischem Akzent spricht. Am Anfang des Films flirtet Scarlett mit den jungen Männern der Umgebung, und überhaupt spannt sie mit Vorliebe ihren Freundinnen und Schwestern die Männer aus. Sie ist falsch und manipulierend, und das machte sie mir sofort so unsympathisch, dass ich den Film nach 10 Minuten anhielt und monatelang keines Blickes würdigte. Gespielt wird Scarlett noch dazu von Vivien Leigh, die schon in Endstation Sehnsucht als Blanche eine äußerst nervige Figur abgab.
Scarlett liebt eigentlich nichts und niemanden, außer vielleicht das Anwesen, auf dem sie aufwuchs, Tara, das immer wieder eine Rolle spielt. Sie ist hübsch und weiß sich in Szene zu setzen, sie ist auch taff, gerissen, geschäftstüchtig, und – und das ist vermutlich ihre große Stärke – an Konventionen liegt ihr wenig. Als sie bei Nachbars eingeladen ist, erfährt sie zu ihrer Enttäuschung, dass der Sohn Ashley Wilkes (damals war Ashley noch ein Männername) seine Cousine heiraten will und nicht sie. Also macht sie ihm rasch ein Liebesgeständnis, zufällig mitgehört von Rhett Butler, der wiederum von ihr gerade wegen ihrer Unverfrorenheit sehr angetan ist. Auf der Party wird auch beschlossen, dass man gegen den Norden in den Krieg ziehen wird.
Der Bürgerkrieg prägt dann auch den größten Teil des (2 DVDs umspannenden) Films. Die vielen Verwundeten und Toten, die Zerstörung, die Not dieses Krieges werden vorstellbar. Scarlett kümmert sich ihm zuliebe um Ashleys Frau, die ihr eine tiefe Zuneigung und Dankbarkeit entgegenbringt. Mit Melanie zusammen arbeitet sie auch kurzzeitig in einem Lazarett, bis sie das Elend dort nicht mehr ertragen will. Zwei Ehen, die sie aus unlauteren Motiven einging, enden mit dem jeweiligen Tod des Mannes. Treu an ihrer Seite bleibt vor allem Mammy, ihre schwarze Amme, gespielt von Hattie McDaniel, die für ihre Darstellung als hörige Sklavin, auch als sie keine mehr ist, kritisiert wurde. Ob das wirklich so stereotyp ist, wie ihr vorgeworfen wird? Ammen, die Kinder wie Mütter aufziehen und vielen Fällen auch stillen, entwickeln doch sicherlich eine starke Loyalität zu diesen Kindern.
Scarlett kehrt auch während des Krieges nach Tara zurück und verteidigt es gegen alle möglichen Angriffe. Bei Geldknappheit und Hunger schwört sie sich, nie wieder in eine solche Situation zu kommen.
Rhett Butler, der Schwerenöter und Geschäftemacher, taucht immer wieder auf und neckt und hofiert sie. Schließlich heiraten die beiden, und Scarlett scheint auch sexuell erfüllt mit ihm zu sein, doch immer wieder kommt es zu Streit, Bockigkeit und Missverständnissen zwischen den beiden, wegen der Tochter, wegen Scarletts Versuchen, Ashley für sich zu gewinnen usw. Rhett, dessen Charme im Laufe des Films zumindest mein Herz gewinnen konnte, verlässt sie am Ende mit der Kult gewordenen Bemerkung: „Frankly, my dear, I don’t give a damn.“ (Ehrlich gesagt, meine Liebe, ist mir das scheißegal. Die deutsche Synchronfassung lautet „Offen gesagt, pfeif ich drauf“.) Scarlett zieht sich auf Tara zurück, um sich zu sammeln und zu planen, wie sie ihn zurückgewinnen kann.
Es gibt auch eine kurze Szene in New Orleans, wohin die beiden mit einem Raddampfer in die Flitterwochen fahren, bevor Scarlett schnell nach Tara zurück möchte. Ich hatte immer gedacht, dass der Film auf der legendären Oak Alley Plantation in Louisiana spielte, aber das war ein Irrtum. Tara oder Twelve Oaks soll von der Boone Hall Plantage in der Nähe von Charleston inspiriert sein, während Oak Alley Schauplatz für viele andere Filme war, siehe hier.
Worin die Faszination des Films besteht?  Die Monumentalität, die erstaunlichen Farben und Effekte und die Musik kann man sicher nur bei einem großen Bildschirm wertschätzen. Doch die Darstellung des Bürgerkriegs war beeindruckend und plastisch, wie ich sie noch nicht gesehen hatte. Die Rassenbeziehungen werden nicht sehr vorteilhaft, aber wohl halbwegs akkurat dargestellt. Neben den schönen Kleidern und der Darstellung eines Südens und einer Zeit, die es nicht mehr gibt, faszinieren vielleicht auch gerade die Beziehungen. Eine schwülstige Liebe „bis an das Ende der Tage“ gibt es hier nicht, denn Ashley und seine Frau verbindet eine tiefe Freundschaft und möglicherweise Seelenverwandtschaft, und Rhett Butler und Scarlett O’Hara teilen eine starke, aber kratzbürstige Anziehung, die zum Teil auch ein Spiel ist, das am Ende aus Dummheit und Eitelkeit scheitert. Es nicht einfach ein Liebesfilm nach altbekanntem Muster, sondern eher ein Lehrstück über Beziehungen. 
Insgesamt ein Schinken, sicher, aber doch ein ungewöhnlicher Schinken mit feinen Nuancen und differenzierten Geschmacksnoten. Einer, den man sich ruhig einmal gönnen kann.

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