Donnerstag, 11. Oktober 2012

On the Road - Unterwegs


Ihren Werken nach zu urteilen, waren die französischen Surrealisten ein wilder Haufen, mit ihrer Lust auf Sex, Drugs und das Unterbewusstsein, angestiftet von Übersetzungen der Bücher des Herrn Freud. Ihre Experimente waren ungewöhnlich und gewagt, ihr Verschleiß an Musen natürlich groß, obwohl einige davon, Leonora Carrington zum Beispiel, selbst große Künstlerinnen wurden. Dann sieht man aber ein Foto von ihnen und da stehen sie wie zum Klassenfoto aufgereiht, mit Anzug und Krawatte, gern auch Tweed, und bloß nicht lächeln. Ganz wie der Gentleman’s Klub, der sie letztendlich waren, mit Manifesten und Aufnahmeritualen, Ausschlüssen und ihr Chef, André Breton, brachte es im New Yorker Exil nicht einmal übers Herz, Englisch zu lernen.
Die Beatniks, USA Ende der vierziger Jahre und fünfziger Jahre, sind eher eine Generation als eine Kunstrichtung, und während es immer wieder Hippies, ihre Nachfolger, gibt, so altern Beats  eigentlich nur noch und sterben langsam aus (außer vielleicht Lawrence Ferlinghetti). Sie lebten das Extrem, experimentierten mit dem Leben, ähnlich wie der Franzose Boris Vian, der zeitgleich im Dunstfeld der Existentialisten wirkte (gest. 1954).
In der Person von Jack Kerouac verbinden sich gewissermaßen Alte und Neue Welt (so wie auch in der Lost Generation um Gertrude Stein und Ernest Hemingway, die in Paris lebte): Dabei wird gern vergessen, dass der Verfasser der großen Hymne und des Quasi-Manifests der Beatniks, On the Road, der französischsprachigen Minderheit in Massachusetts entstammte und also in einer Fremdsprache schrieb. Vor einiger Zeit wurde sein französischsprachiges Manuskript mit dem Titel Sur le chemin (Unterwegs) entdeckt, das im lokalen Dialekt geschrieben ist und deshalb erdig und fast kindlich klingt (hier finden sich einige kurze Ausschnitte). 
In dem Film On the Road, der derzeit im Kino läuft, wird das Französische mehrmals kurz in Szenen mit seiner Mutter angedeutet, vermutlich wegen der französischen Koproduzenten, denn ansonsten schert das kaum jemanden. Allerdings gilt in den USA, so mein Eindruck, eher Allen Ginsberg mit dem Poem Howl als die große Stimme der Beat Generation.
Anders als das Buch muss sich der Film zur leidigen Kleider- und Frisurfrage verhalten. Wenn es um  lange, anarchische Überlandfahrten, Drogen, Sex in allen Konstellationen, wilden jugendlichen Überschuss an Testosteron geht, dann kann man die Darsteller doch nicht mit Schmachtlocke, kariertem Hemd und Hängeschultern herumlaufen lassen. Oder? Nur Kirsten Dunst als Deans Frau Camille trägt das Haar in der Nackenrolle der Zeit und schafft es, authentisch zu wirken und mich mitfühlen zu lassen, eine gute Schauspielerin, dachte ich mir. Sonst trägt man vor allem H&M-Ähnliches, Kristen Stewart noch dazu ein gelangweilt-verführerisches Schmollmündchen oder gar nichts, der Darsteller von Dean Moriarty, alias Neal Cassady, ist überhaupt zu gut und glatt aussehend für die Rolle, Kerouac wird hier zum schmierigen Mitläufer und Resteabfasser und insgesamt war mir der Habitus der Hauptdarsteller zu modern. 
Dem puren Hedonismus ohne Tiefgang wird immer mal wieder Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit entgegen gehalten, allerdings, wie mein Begleiter meinte, eher wie eine Monstranz vor sich her getragen, als dass man ihnen abnehmen würde, dass es einer von ihnen wirklich liest. (Mir ist dann auch eingefallen, dass die im Film gezeigte englische Übersetzung In Search of Lost Time erst 1992 erschienen ist und Ende der vierziger Jahre noch die erste Übersetzung mit dem kanonischen Titel Remembrance of Times Past in aller Munde und Hände war. Fällt das unter "Continuity"?)
So ist jedoch in meiner Erinnerung das Buch: eine rastlose Suche, ein Aufbruch ohne Ziel, Rebellen auf der Suche nach ihrer Sache (frei nach Rebels Without A Cause). Gelesen habe ich es schon Anfang/Mitte der achtziger Jahre in der Übersetzung von Bernhard Scheller; für die neue nach der Urfassung war "das Presse-Kontingent erschöpft".
Übrigens: Natürlich fährt die Bande auch nach New Orleans, und hält sich einige Tage im wunderbaren Landhaus von William Burroughs und seiner Frau auf. Es befindet sich in Algiers, gleich gegenüber von New Orleans auf der Westbank (in Bridge City, auch auf der Westbank, gedreht), ein traumhaftes Plantagenhaus mit hoher Terrasse, umgeben von Bäumen mit Spanischmoos und lauthals röhrenden Grillen, Licht wie bei Van Gogh, eine warme Paradies-Oase, ein Innehalten en famille in diesem ansonsten irgendwie kalten Film.
Trotzdem vergingen die 124 Minuten schneller als befürchtet, die Exzesse machen atemlos und die Kamera zeigt die USA von weiter, poetischer Schönheit in krisseligen, grellen Bildern wie in den Motorcycle Diaries. Dem Buch wird der Film nicht so recht gerecht, zu viel Hochglanz, zu viel Hollywood, zu viel kalkulierte Transgression. Und doch wäre ich neugierig zu sehen, wie die Surrealisten in einem Film von Regisseur Walter Salles wegkommen würden.

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