Sonntag, 28. Oktober 2012

Alice Kessler-Harris: A Difficult Woman


Vor knapp zwei Jahren notierte ich mir zu meinem ersten Buch von Lillian Hellman, An Unfinished Woman (Eine unfertige Frau): „So ein umwerfendes, offenes Buch! New Orleans, New York, Hollywood, Spanischer Bürgerkrieg, Sowjetunion im Krieg, immer wieder Moskau, die schwierige Liebe zu Dashiell Hammett. Eine Entdeckung!“ Es ist die rasante Autobiografie einer Diva, die während des Bürgerkrieges nach Spanien reist, im 2. Weltkrieg über Alaska und Sibirien nach Moskau und an die Front, Hemingway und anderen großen Namen begegnet und über ihre lange Beziehung zu Dashiell Hammett berichtet. Ich habe das Buch verschlungen und zu einem meiner Lieblingsbücher erklärt. Etwas später versuchte ich es mit Maybe (Vielleicht), doch das war mir zu persönlich und zu viel Klatsch. Als ich dann las, dass Mary McCarthy über Lillian Hellman meinte: „Jedes Wort, das sie schreibt, ist eine Lüge, einschließlich and und the“, war ich zutiefst enttäuscht. Was mich so begeistert hatte, alles erlogen? 
Sicher auch wegen dieser Bemerkung ist Lillian Hellmanns Ruhm selbst in den USA etwas verblichen. Dabei war sie in der Mitte und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Theaterautorin, die erste Frau unter den erfolgreichen Dramatikern ihrer Zeit, als noch weniger Frauen als heute für die Bühne schrieben. Sie tat dies ausdrücklich als Dramatiker und nicht als Dramatikerin (woman playwright), und bezeichnete ihrerseits Mary McCarthy als „lady writer“. Auch nicht nett.
Aber so war sie, die Person Lillian Hellman, die ihre Zeit vermutlich ebenso stark geprägt hat wie die Schriftstellerin. So gibt es auch mehrere Biografien über sie, doch die Historikerin Alice Kessler-Harris (von der Columbia University) hat ihr jetzt eine ausführliche Biographie gewidmet, die sich ihrem Leben und Werk aus zeitgeschichtlicher Sicht annimmt. Das Buch heißt A Difficult Woman. The Challenging Life and Times of Lillian Hellman (Eine schwierige Frau. Die Herausforderung des Lebens und der Zeiten von Lillian Hellman, zum Bestellen bei Bloomsbury hier). Tatsächlich gehörte Lillian Hellman wohl zu jenen Frauen, die mir mit ihrer Zickigkeit und ihrem Eigensinn eine tiefe Mädchenangst einjagen. Aber als Persönlichkeit, die sich trotz verschiedenster Anfeindungen ihr Leben lang treu blieb, achte und schätze ich sie.
Lillian Hellman wurde 1905 in New Orleans geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend abwechselnd dort und in New York. Sie heiratete jung, ließ sich wieder scheiden, hatte eine Abtreibung. Durch ihre Arbeit in einem Verlag, durch die Ehe und Freundschaft mit Schriftstellern und schließlich auch durch ihre Beziehung zu Dashiel Hammett fand sie selbst zum Schreiben. Zu ihren (hoch moralischen) Theaterstücken gehören The Children's Hour (1934; Kinderstunde), The Little Foxes (1939; Die kleinen Füchse) und Toys in the Attic (1959; Puppenstube).
Nach eigener Aussage blieb sie Südstaatlerin, geprägt durch ihre schwarze Amme Sophronia, und durch New Orleans, eine Stadt mit einem intensiven kulturellen Leben, eine Stadt, wo Schwarze und Weiße schon immer enger zusammenlebten als anderswo. Lillian Hellman war (deutschstämmige) Jüdin und im Sinne des tief verwurzelten Reformjudentums in New Orleans aufgewachsen, was sie von den orthodoxen osteuropäischen Einwanderern zweiter Generation, die in New York ihre Kollegen wurden, grundlegend unterschied.
Unter den Machoschriftstellern ihrer Zeit behauptete sie sich souverän, und gern band sie, auch verheiratete, auch jüngere, Männer freigiebig sexuell in ihr Leben ein, war sexuell selbstbestimmt und freizügig. Das nahm man ihr immer wieder übel. Man nahm ihr auch übel, dass sie nicht intellektuell war, sondern den Geschmack der durchschnittlichen Kulturkonsumenten (middlebrow) ansprach. Sie schaffte es nicht nur, unabhängig von ihrer Arbeit als Schriftstellerin zu leben, sondern durch geschickte und sparsame Verwaltung ihrer Finanzen sogar finanzielle Sicherheit und einigen Wohlstand für sich zu erwerben, was für Frauen ungewöhnlich war und eigentlich auch oft noch ist. Auch das nahmen ihr manche übel. 
Dass sie sich nicht mit den Zielen der Frauenbewegung identifizierte (sexuelle Befreiung, Gleichstellung im Öffentlichen wie im Privaten), brachte ihr viel Unverständnis ein. Auch hier war ihre Haltung konsequent: „Ob nun BH oder nicht BH, wer die Töpfe abwäscht, ob man ein Sexobjekt ist... hat sehr wenig Bedeutung, außer wenn die Frau, die die Tür hinter sich zuschlägt, sich selbst das Abendessen bezahlen und sich aus dem Winterwind in Sicherheit bringen kann.“ 
Sie blieb zeit Lebens unabhängig, und während Dashiell Hammett für seine Überzeugung in der McCarthy-Ära schweigend ins Gefängnis ging, machte sie sich Feinde, indem sie die Kollegen heftig kritisierte, die ihrerseits Kollegen und Freunde verraten hatten. Angst hatte auch sie, aber ihr störrisches Gerechtigkeitsbewusstsein brachte sie dazu, mit Hilfe ihrer Anwälte einen Brief zu verfassen, der ihr bei der Anhörung vor dem Komitee für Unamerikanische Aktivitäten mit etwas Glück zum Triumph verhalf.
Kurzfristig war sie auch Kommunistin gewesen und verteidigte die Sowjetunion noch, als andere sich wegen der Gewalt unter Stalin und wegen seines Vorgehens gegen Juden schon längst abgewandt hatten. Lillian Hellman war kaufsüchtig, eitel, nicht zu Kompromissen bereit, neigte zu Szenen und Unpässlichkeit, war lautstark und aufmüpfig. Sie war auch eine liebevolle und großzügige Freundin und Patentante, eine passionierte Dozentin am College, eine zurückhaltende, sehr feminine Frau.
All das weiß ich aus der umfang- und lehrreichen Biografie von Alice Kessler-Harris, die ihre unterschiedlichen Facetten in jeweils einem Kapitel betrachtet. Wenn der wissenschaftliche Duktus kurzzeitig das Lesen erschwerte, so ist es doch so gut geschrieben (und zugleich akribisch zitiert und dokumentiert), dass ein spannendes Porträt entsteht - der Frau Lillian Hellman, wie auch des Landes, in der Zeit, in der sie lebte. 
Ein ganzes Kapitel (Liar, Liar—Lügnerin, Lügnerin) befasst sich mit den Anschuldigungen von Mary McCarthy und den nachfolgenden zermürbenden Gerichtsprozessen. Lillian Hellman mag manches verdreht, falsch zugeordnet oder übertrieben haben, doch sicher nicht mehr als andere autobiografisch Schreibende. Die Suche nach der Wahrheit war ihr wichtig und immer wieder stellte sie sie in Frage. Die Fehde fand erst mit ihrem Tod 1984 ein Ende; Nora Ephron hat diese in dem Musiktheaterstück Imaginary Friends (Imaginäre Freundinnen) verarbeitet.
Ein wiederkehrendes Thema sind die (oft sehr gehässig formulierten) Aussagen, dass Lillian Hellman nicht schön war und es dennoch geschafft hatte, sich durchzusetzen. Für mich war Lillian Hellman schön genug und mich ärgert so etwas, besonders bei Frauen, wie auch der gegenwärtigen Bundeskanzlerin, deren Beruf Schönheit eigentlich nicht erforderlich macht und - was kann man schließlich für sein Aussehen? Ich nehme an, dass diese Beleidigungen zu Hellmans Lebzeiten genau so unverblümt fielen und dass die Biografin sie dokumentieren wollte. Aber (ver)störend sind sie dennoch.
In der deutschsprachigen Welt mag Lillian Hellman zu unbekannt sein, als dass eine solche Biografie ihr Publikum finden würde. Deshalb holt Euch zum Anwärmen, liebe Leser und liebe Leserinnen, ihre Autobiografie Eine unfertige Frau (in zwei verschiedenen Übersetzungen erhältlich) aus der Bibliothek. Alles, was Lillian Hellman darin beschreibt, hat sie so oder so ungefähr wahrscheinlich tatsächlich in etwa so erlebt.

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