Freitag, 31. August 2012

Sara Gran: Die Stadt der Toten


Wenn eine Stadt so elementar auf ihre Elemente zurückgeworfen ist wie New Orleans, das jetzt gerade langsam wieder zu sich kommt, je mehr die Lichter angehen, dann scheint es irgendwie trivial und oberflächlich, über Bücher, Filme und andere eher schöne Dinge zu schreiben. Die Dämme haben gehalten, und dieses Mal können die New Orleanser das Gefühl haben, dass sich ihr Land um sie gekümmert hat, sie wichtig findet. Andere Regionen, gleich außerhalb der Stadt, wie zum Beispiel LaPlace, wo die lange Autobahnbrücke über das Wasser beginnt, auf der die Schlüsselszene von Jeff, der noch zu Hause lebt spielt, sind hoffnungslos überschwemmt, und in Baithwaite wurden sogar zwei Tote gefunden. Dann liest man gleich Kommentare im Internet, was für eine Verschwendung von Geldern das sei (14 Milliarden Dollar für die Dämme) und wie unverantwortlich und dumm von den Leuten, überhaupt in solchen Gegenden zu wohnen.
Für viele Menschen ist es eben seit ein, zwei oder auch mehr Jahrhunderten ihre Heimat und das was man im Englischen als „resilience“ bezeichnet, die erstaunliche Standhaftigkeit und Ausdauer, der Pragmatismus, Optimismus und Mut, mit dem sie diese Situationen immer wieder hinnehmen und durchstehen, ist bewundernswert. Selbst wenn man davon absieht, dass New Orleans und die Region mit dem Hafen, mit dem Öl, mit dem Fluss, mit seinem Grund und Boden für das ganze Land von entscheidender politischer und wirtschaftlicher Bedeutung ist (Stichwort: nationale Sicherheit) und schon dafür viel mehr Schätzung und Förderung erfahren müsste, so kann man natürlich die Stadt und die Region auch schon allein deshalb nicht entvölkern und aufgeben, weil das Land und die Welt New Orleans als vagen Sehnsuchtsort brauchen und der funktioniert, anders als vielleicht Vineta, Atlantis, Pompeji, nur mit einer realen Stadt. Man braucht die reale Stadt auch, um dort Krimis und andere Geschichten spielen zu lassen, zum Beispiel Die Stadt der Toten. Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt von Sara Gran.
Erst einmal: Es macht mir absolut keinen Spaß, Fehler in Büchern zu entdecken oder Verrisse oder Kritisches zu schreiben, weil ich mich dann selbst mies fühle. Als mir also ein Leser die Information über diesen Krimi zukommen ließ, den Titel und Untertitel so reißerisch ankündigen, habe ich erst mal ein bisschen recherchiert. Heutzutage schreibt ja fast jeder ein Buch, das in New Orleans spielt, aber Sara Gran hat tatsächlich auch dort gelebt und wird also wissen, so dachte ich mir, wovon sie schreibt.
Sie weiß, wovon sie schreibt, und das macht Spaß. Aber der Reihe nach.
Eingeführt wird die etwas verrückte Detektivin Claire DeWitt, die bei einer anderen großen Detektivin in New Orleans in die Schule gegangen ist. Beide entsprechen nicht dem typischen Bild von Detektiven: Die Koryphäe war eine Grande Dame mit einer Villa im Garden District. Claire ist eine tollpatschige, ungeschmeidige Person, die sich überall unbeliebt macht, und dennoch irgendwie ihre Fälle aufklärt. Sie kehrt nach New Orleans zurück, um das rätselhafte Verschwinden und den mutmaßlichen Tod von Vic Willing, einem Staatsanwalt, aufzuklären, der seit Katrina vermisst wird. Ihre Recherchemethoden sind ungewöhnlich: Sie setzt auf Intuition und Beobachtung, aber auch auf zufällige Begegnungen, Träume und alle anderen Arten von Zeichen. Sie trifft zum Beispiel immer wieder einen jungen Schwarzen, Andray, und dessen Freund, rettet ihnen sogar das Leben, und diese beiden stellen sich am Ende tatsächlich als entscheidende Figuren bei der Lösung des Falls heraus. Doch bevor es so weit kommt, begegnet sie ihnen immer wieder – und konsumiert mit ihnen und ohne sie jede Menge legale und illegale Drogen, was dann auch schon mal etwas langweilig wird.
Der Tonfall des Romans und der Hauptfigur ist schnoddrig und frech und das ist charmant und reißt mit. Über Claire zeigt die Autorin, wie gut sie New Orleans kennt; geradezu genüsslich und mit feiner Ironie platziert sie die Indizien dafür überall im Buch: Hubig’s Pasteten, der Radiosender WWOZ, der lokale Akzent: Yat, die Autoren Julie Smith, Poppie Z. Brite, James Lee Burke, Mardi Gras Indians, das Blau am Himmel der Veranden der alten Häuser, selbst die niedlichen grünen Mönchssittiche, die sich seit Katrina besonders verbreitet haben. 
Damit scheint sie irgendwie auch direkt an und für die New Orleanser zu schreiben, die es müde sind, ihre Stadt ständig falsch dargestellt und falsch gedeutet zu sehen. Bei aller Flapsigkeit fallen einige Spitzen ab: dass man in der Stadt nicht leben, dass man dort nicht glücklich sein kann, wie arm und vernachlässigt bestimmte Stadtteile und Menschen sind... Dann gibt es aber immer wieder Momente, wo sich eine tiefe Liebe für die Stadt zeigt, die der Einwohner, aber auch die der Hauptfigur und der Autorin. Obwohl Hurrikan Katrina nur den Hintergrund für das Verbrechen und die Geschichte bietet, erinnert es durchgehend an dieses Trauma. Der Tod des Opfers, den Claire tatsächlich aufklärt, ist ein zwiespältiger Tod, nicht gerecht, aber vielleicht in gewissem Maße gerechtfertigt.
Es wird auch aus der Biografie der Detektivin erzählt und somit Vorlagen für mindestens zwei weitere Krimis gegeben, denn die Leserin fragt sich: Wer hat Claires Mentorin getötet? Und was ist mit ihrer Schulfreundin Tracy aus Brooklyn geschehen? Claire ist ungehobelt und beziehungsgestört, aber ihr Witz und ihre Schlauheit machen Lust auf mehr.
Spaß machen auch die Verweise auf ihre theoretische Ermittlungsgrundlage: Jacques Silette und sein Buch Détection (reine Erfindung das, aber was für eine!). Immer wieder sind Sentenzen und Zitate aus dem Werk in den Text eingesprenkelt und schaffen damit scheinbare, fast philosophisch-meditative Momente des Innehaltens, die mich an die Samuraisprüche aus dem Film Ghost Dog erinnerten, nur dass jene echt waren, und diese eher mit Schalk und Augenzwinkern serviert werden.
Die deutsche Übersetzung von Eva Bonné liest sich so frisch und frei wie sicher das Original auch: ein reines Vergnügen. Gestutzt habe ich über den „Folksender WWOZ“, denn der Heimatsender vieler New Orleanser spielt vor allem Jazz, Rhythm & Blues, Funk, Musik aus New Orleans eben, aber es kann durchaus sein, dass Claire ihn deshalb als Folk bezeichnet. Für den architektonischen Baustil der „Creole Cottage“ ist Kreolenhäuschen keine schöne Entsprechung, aber eine bessere fällt mir auch nicht ein, ist aber zu überlegen.
Das Buch ist poppig-floral mit abgerundeten Ecken im Orange der frühen 2000’er Jahre aufgemacht, als ob es besonders junge Frauen ansprechen will. Diese (aber vielleicht auch Frauen anderen Alters und junge und alte Männer) lesen in diesem Buch auch, dass New Orleans – auch nach Katrina – genau so eine Stadt ist: lebendig, verrückt, kompliziert, und liebenswert. Ein wirklich unterhaltsames Buch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen