Dienstag, 3. Juli 2012

Meine Radioheimat

Die Namen amerikanischer Radiosender bestehen aus 4 Großbuchstaben, wobei die aller Sender östlich des Mississippi mit W beginnen und die westlich davon mit K. NPR (National Public Radio) ist somit kein Radiosender sondern ein öffentlicher Radiosendungsanbieter und betreibt tatsächlich selbst nur einen Sender, NPR Berlin auf 104.1 FM. NPR in den USA trägt sich zum Teil aus staatlichen Geldern, die immer wieder in Frage gestellt und gekürzt werden; der andere Teil besteht aus Spenden (Mitgliedschaften) der jeweiligen Hörer. So ist das auch bei den unzähligen Sendern im ganzen Land, die NPR-Sendungen ausstrahlen, meistens zu den weniger hörerintensiven Zeiten unterbrochen von (preiswerten) Klassikmusiksendungen, mit mehr Musikanteilen bei den kleineren und weniger bei den größeren Sendern. NPR Berlin wird übrigens nicht von der GEZ unterstützt, sondern wirbt auch zwei Mal im Jahr um Mitgliedschaften.
NPR bietet vor allem politische Nachrichten- und Talksendungen, aber auch Unterhaltungssendungen, die dann wieder jeweils bei einem der Partnersender produziert werden: die spannende Interviewsendung Fresh Air mit Terri Gross von WHYY in Philadelphia, der witzige Car Talk mit den Brüdern Ray und Tom Magliozzi von WBUR in Boston und die wirklich komische Quizsendung Wait Wait Don't Tell Me von WBEZ in Chicago und viele mehr. Dazu kommen dann noch Sendungen anderer unabhängiger Produktionsfirmen wie American Public Media (APM) und Public Radio International (PRI).
Mein Leib- und Magensender ist NPR seit ungefähr 1992 und hat mich auf meinen verschiedenen Stationen und langen Autofahrten durch die USA treu begleitet. (Im Staate Mississippi gibt es allerdings Landstriche, wo das Autoradio kein NPR sondern nur Country- und Predigersender empfängt. Wenn NPR dann wieder hereinkam, fühlte ich mich wie in die Zivilisation zurückgekehrt.) Meine Anhänglichkeit hat einerseits mit den interessanten, informativen Sendungen zu tun und andererseits mit dem besonderen Sound der NPR-Sprecher, bei dem ich mich geborgen fühle. Seit 2006 ist NPR Berlin hier auf Sendung und somit ist auch dieser Teil meiner Welt wieder in Ordnung.
Der NPR-Sender in New Orleans heißt WWNO, was verwirren mag, denn bei einem flüchtigen Blick auf die Karte liegt die Stadt doch westlich des Mississippi? Aber nein, es scheint nur so wegen der verwegenen Windungen des Flusses. (In Baton Rouge heißt der Sender WRKF und der Sender der Universität, der auf der anderen Flussseite steht, heißt KLSU.) Ich war natürlich Mitglied bei WWNO und habe sogar einmal bei einem Membership Drive (einer Mitgliederwerbungskampagne) ein paar Stunden lang Telefonate entgegengenommen und dabei meinen Freund Jeff kennengelernt.
Über NPR erreichen mich gelegentlich Stimmen von alten Freunden hier in der Küche. Einmal berichtete ein Freund für Marketplace aus Indien, mit dem ich vor vielen Jahren getanzt, gepaddelt und im Radio Lyrik gelesen habe. Immer mal wieder höre ich den knarrenden Akzent von Schriftsteller und Radiokolumnist Andrei Codrescu, mit dem ich an meiner Dissertation gearbeitet und auch gefeiert habe. 
Gestern früh erreichte mich auf diese Weise eine einseitige Radiobekanntschaft aus New Orleans: der Musikethnologe Nick Spitzer von WWNO, Moderator und Autor der zweistündigen Sendung American Routes (die übrigens genauso gut American Roots heißten könnte). NPR Berlin hatte American Routes bisher partout nicht ins Programm aufnehmen wollen, aber gestern von 8 bis 9 Uhr hat es geklappt: mit einer Sendung zum 100jährigen Geburtstag von Woodie Guthrie. Anlass für mehrere morgentliche Jauchzer und ein Grund mehr, meine Mitgliedschaft bei NPR Berlin zu erneuern.

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