Donnerstag, 24. Mai 2012

Lokal, preisgekrönt

Dieser 100. Eintrag (tatatataaa!) ist endlich der Times-Picayune gewidmet, der New Orleanser Tageszeitung, auf deren Webseite einige meiner aktuelleren Beiträge aufbauen. Sie ist nicht die New York Times: vom kreativen und intellektuellen Anspruch her, von der Schärfe und Genauigkeit der politischen Analyse, von der Reichweite, vom Budget und so weiter. Und doch ist sie ein treuer und zuverlässiger Begleiter, den ich, anders als die New York Times, jeden Tag lesen oder überfliegen könnte.
Ihren Namen verdankt die Zeitung dem ursprünglichen Preis von 1 Picayune (einer spanischen Währungseinheit) bei ihrer Gründung 1837 und der Fusion mit dem Konkurrenzblatt Times-Democrat 1914. Bereits seit den 60er Jahren hat sie das lokale Zeitungsmonopol inne. Wikipedia bewertet sie als gemäßigt-konservativ, wobei ich sie einfach immer nur als schlicht und seriös und vielleicht nicht übermäßig progressiv gelesen habe.
1992 verfasste ich für ein Fulbright-Einführungsprogramm meine erste akademische Arbeit auf Englisch: ein Vergleich der New York Times, der Los Angeles Times, des St. Louis Post-Dispatch und der New Orleans Times-Picayune bezüglich ihrer Berichterstattung über Deutschland. Dabei schnitt sie gar nicht schlecht ab.
Während Hurrikan Katrina arbeitete die Redaktion (Internet- und Druck-) heroisch weiter, zuerst in den eigenen Gebäuden, dann auf dem Campus der Louisiana State University, mit Schlafsäcken und Luftmatratzen. Drei Tage lang gab es nur Internetausgaben, danach wurde wieder gedruckt. Auch in dieser Zeit der Medienhysterie zeichnete sie sich durch besonnene Berichterstattung vor Ort aus und war für viele Leser, auch in der Evakuation im ganzen Land verteilt, eine emotionale und informative Verbindung nach Hause. Für diese Berichterstattung erhielt sie verschiedene Preise, darunter auch den Pulitzerpreis. Auch mit den Ereignissen nach Katrina setzte sich die Times-Picayune kritisch auseinander, vor allem auch mit der FEMA, der Katastrophenmanagementagentur, die grandios versagt hatte. Auch sonst wendet sie sich immer mit investigativen Serien brisanten Themen, wie jetzt gerade zur Gefängniskultur in Louisiana.
Einige jetzt bekannte Autoren haben früher für das Blatt gearbeitet, darunter William Faulkner, Chris Rose, der für seine Katrina-Kolumnen bekannt wurde (1 Dead in Attic), James Gill, Lolis Eric Elie (der bei der Fernsehserie Tremé mitarbeitet), die Literaturkritikerin Susan Larson und Gwenn Thompkins von NPR.
Gerade heute las ich, dass die Zeitung in eine neue Firma überführt wird und ab Herbst nur noch drei Mal wöchentlich gedruckt erscheint (also nicht mehr Sonntag früh zum Zeitungsautomaten an der Ecke schlendern, einen Croissant beim französischen Bäcker daneben kaufen und den Sonntag gemächlich Zeitung lesend einläuten). Mein Freund Rex schrieb dazu auf Facebook: „Erst K&B (eine alteingesessene Drogeriekette, die vor ein paar Jahren verschwand), dann Katrina und jetzt das.“ Auch mich macht das tieftraurig. Und so ist aus dieser kleinen Lobeshymne fast ein Nachruf geworden.

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