Sonntag, 8. April 2012

Osterspaziergang

Heute morgen beim Spaziergang durch den Park ging es mir durch den Kopf: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche...“, und ich dachte mir, aha, zu Goethens Zeiten waren also die Flüsse im Winter zugefroren, was mit unserer Spree hier zwar in diesen Jahren wieder so ist, aber nicht immer so war.
So erlaubt uns die Literatur Rückschlüsse auf die Natur, und so lese ich in der Literatur ein bestimmtes Bild von der Natur mit. Vor allem Louisiana, New Orleans ist für mich ein Ort, wo ich die Natur und die Umwelt immer mitdenke und die für mich viel von ihrem Zauber ausmachen.
Das wurde mir auch insbesondere klar, als ich an dieser Stelle vor kurzem über Kate Chopins Das Erwachen schrieb. Denn während mir beim Lesen intensiv die Esplanade Avenue in New Orleans vor Augen stand, so wie heute, nur ohne Autos und mit langberockten und behandschuhten Damen, die unter Rüschensonnenschirmen über die Bürgersteige schweben, wollte mein Bild von Grand Isle absolut nicht mit dem von der Autorin beschriebenen übereinstimmen. 
Kate Chopins Insel ist nämlich eine luftige, paradiesische Oase mit edlen weißen Sommerhäuschen unter schattigen Bäumen. Die Grand Isle, die ich kenne, hat nur vereinzelt Bäume, die im Sand wachsen, ist eher einfach und provisorisch bebaut und scheint sich in den Elementen nur noch mit letzter Kraft zu behaupten. Wie überall in Louisiana, wo in den malerischen Bayous alte Kähne vor sich hinrosten und am Mississippiufer ganze Anlagen verwahrlosen, so wirkt auch Grand Isle, von den Eigenheimen und dem naturbelassenen State Park abgesehen, nicht besonders sorgfältig behandelt. Und das war lange vor der BP-Ölkatastrophe.
Eines der größten Probleme Louisianas ist, dass der Bundesstaat jährlich massiv an Boden verliert, auch weil die Deichanlagen des Mississippi dazu führen, dass der Schlamm des „Muddy River“ weit im Golf von Mexiko abgesetzt wird und nicht vor der Küste, wo er gebraucht wird. Die Gewinnung von Öl und Gas, das Anlegen von Erkundungskanälen, durch die Salzwasser in die Marschen eindringt, und die Verbreitung der Nutria führen dazu, dass jährlich ca. 122 km2 Feuchtgebiete verloren gehen. Wie sehr die Insel sich verändert hat, habe ich selbst gesehen: Allein die Hurrikane Katrina und Rita 2005 haben ca. 560 Quadratkilometer Marschland in offenes Wasser verwandelt. Der Name der benachbarten Halbinsel Chênière Caminada deutet auf ein Eichenwäldchen hin, heute eine Marschlandschaft mit sporadischen Bäumen.
Dabei ist die Eiche, genauer gesagt die Lebenseiche (live oak), die auf Deutsch wohl auch Virginia-Eiche heißt, für mich der typischste und schönste Baum Louisianas. Es ist der Baum, der die berühmte Oak Alley Plantation so verwunschen aussehen lässt. Mit seinen knorrigen, starken, weit auf den Boden reichenden Ästen, die mit Efeu und Spanischmoos bewachsen sind, ist er exotisch, bizarr und schön und Heimstatt für unzählige Vögel. Aber vor allem ist er auch unverwüstlich und standhaft und uralt, hält Stürmen und Unwetter stand, eine beständige Präsenz in einer unsteten und vergänglichen Landschaft.

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