Dienstag, 29. November 2011

Johanna von (New) Orléans

Im French Quarter, unweit des Jackson Square, wo sich die Decatur Street mit der North Peters Street gabelt, ist ein kleiner dreieckiger Platz, auf dem eine Statue der Jeanne d’Arc steht. Der Platz heißt wohl Place de France, und die Statue war 1958 ein Geschenk des französischen Volkes (zum Vergleich: Die New Yorker haben die Freiheitsstatue bekommen und wir Berliner einen bizarren 124,5°-Bogen am Tauentzien).
Die Verbindung zu New Orleans besteht einerseits durch den Namen, (New) Orleans oder auf Französisch La Nouvelle Orléans, und andererseits darin, dass ja Johanna von Orléans gegen die Engländer kämpfte, so wie Andrew Jackson und die Amerikaner gegen die Invasion der Briten am 8. Januar 1815 in der Schlacht von New Orleans.
Seit 2008 gibt es eine Krewe de Jeanne d'Arc, d.h. einen Karnevalsverein, in New Orleans, der auch an die historische Nähe zu Frankreich erinnern will. Laut der Krewe ist die Heilige Johanna die inoffizielle Schutzpatronin der Stadt, und wie es sich so fügt, ist ihr Geburtstag am 6. Januar, Epiphanias, Twelfth Night (dem Weihnachtszwölften) oder Dreikönigstag, dem Tag, an dem in New Orleans offiziell die Karnevalssaison beginnt und der bis vor kurzem noch paradefrei war, denn jetzt findet natürlich die Joan of Arc Parade an dem Tag statt. 
Zur Prinzessin des Umzugs wird eine Jungfrau von Orléans (Maid of Orleans) gekürt. Man trägt Kostüme der damaligen Zeit und manchmal auch Pferde. Natürlich sind die meisten Mitglieder Frauen und meine Freundin Lil ist eine davon (auf diesem Blog im lila Gewand). Aber in einem kürzlichen Facebook-Eintrag las ich: „We have found our 8 monk bouncers...“ (Wir haben unsere acht Türstehermönche gefunden...)
An dem hübschen kleinen Platz befinden sich übrigens einige nette Geschäfte. Seit meinem ersten Aufenthalt 1990 liebte ich Kaldi’s Coffee Museum, ein zweistöckiges Café im damals noch ganz neuen Latte-Stil, das leider vor ein paar Jahren geschlossen hat. Und zu Füßen von Johanna habe ich damals auch meine ersten New Orleanser Punks gesehen. So touristisch es nämlich ist, das French Quarter ist auch Heimat für Künstler, Lebenskünstler, Alternative - und eine militante Jungfrau...

Donnerstag, 24. November 2011

Happy Thanksgiving!

In New Orleans wird es heute, wie im übrigen Lande, recht ruhig zugehen, denn alle sind bei der Familie und geben sich der Völlerei hin. Es ist einer der wenigen Feiertage und ein uramerikanischer noch dazu, eigentlich ein Dank an die Indianer für die freundliche Aufnahme der ersten Siedler. Man isst Truthahn mit Stuffing (eigentlich Füllung, die aber meist extra zubereitet und serviert wird), Speisen aus verschiedenen Kürbissorten, Cranberry Sauce, Gravy (sehr dicke Bratensauce) und viele andere Dinge, die für den gewöhnlichen Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig sind. Aber viele sind Hunderte von Kilometern gefahren, um bei der Familie zu sein und später schaut man Football. Neuerdings öffnen viele Geschäfte schon um Mitternacht für den Nach-Thanksgiving-Schlussverkauf, was die Feiertagsruhe etwas stört. Mein bestes Thanksgiving-Essen war mit indischem Einschlag, scharf! Und das schönste Thanksgiving verbrachte ich mit einem deutschen Freund und ein paar Franzosen mit stundenlangem Experimentieren, wann der Truthahn endlich gar ist, und mit köstlichem Pastis...

Mittwoch, 23. November 2011

Straßennamen

Meine letzte Adresse in New Orleans war in der 810 Jena Street (sprich: Djenna) mitten in Uptown. Es war eine lichte Wohnung im ersten Stock, an der Innenseite an drei Seiten von einer gazeeingefassten Veranda umgeben. Zwei winklige, hölzerne Freitreppen führten in mein Reich, das unten von einem sehr bösen, weil sehr unglücklichen Schäferhundmischling bewacht wurde. Die kleine Jena Street führt senkrecht auf den Mississippi zu, den man aber, wie überall in Uptown, hinter Eisenbahngleisen, Gewerbegeländen und Parkplätzen höchstens vermutet.* Manchmal, wenn ich von meinem Schreibtisch aufblickte, konnte ich hinter den Kulissen von Bäumen, Strommasten, Zersiedlung am Horizont Schornsteine und das Oberteil eines riesigen Ozeandampfers ziehen sehen (immer von rechts nach links).
So schneidet die Jena Street die St. Charles Avenue, die Magazine Street und die Tchoupitoulas Street, die sich parallel zu einander durch Uptown ziehen. An der Ecke zur Magazine Street stand der Zeitungsautomat, an dem ich mir sonntags die New Orleans Times Picayune geholt habe, und um die Ecke war die Boulangerie mit den vielleicht besten Croissants der USA. Dazwischen stand eine riesige weiße Villa, wo immer ein großes Boot und andere verrückte Fahrzeuge in der Einfahrt standen und wo angeblich Nine Inch Nails wohnte oder ein Studio hatte.** 
Die Jena Street wiederum ist parallel zur Napoleon Avenue und wird gefolgt von der Cadiz St., Valence St. (Valencia), Bordeaux St., Lyons St., alles Städte, in denen Napoleon Schlachten geschlagen oder die er belagert hat. Wie wir wissen, gibt es bei uns keine Straße, die nach Jena benannt ist, denn schließlich haben wir dort und in Auerstedt verloren! Deshalb empfand ich es immer als ein wenig masochistisch, dass sich die deutsche Botschaft und das Goethe-Institut in Paris ausgerechnet in der Avenue d'Iéna (d.h. Jena Avenue) niedergelassen haben. Doch Geschichte heilt Wunden? Dass die Straßen in New Orleans so heißen, verwundert mich doch—denn die Schlachten bei Jena und Auerstedt waren 1806, und schon am 30. April 1803 hatte Napoleon Louisiana an die Amerikaner verkauft.



* Die einzige Stelle in Uptown, wo man direkt am Mississippi stehen kann ist the Fly—siehe Eintrag vom 16. August. Die 810 Jena St. lässt sich in Google Streetview finden.
** Jetzt habe ich gesehen, dass Trent Reznor die Villa 2005 nach Katrina verkauft hat.

Sonntag, 20. November 2011

Congo Square

Im Louis Armstrong Park in New Orleans befand sich die eigentliche Wiege des Jazz, der legendäre Congo Square. Auf dem Kongo-Platz trafen sich im 18. und 19. Jahrhundert die Sklaven an ihren arbeitsfreien Sonntagen und tanzten und musizierten mit Trommeln, Tambourins, Flöten, Violinen, Banjos und vielen anderen Instrumenten. Als dann die strengen Amerikaner von den Franzosen und Spanier die Macht übernahmen, war es mit diesen Festen erst einmal vorbei. Doch Ende des 19. Jahrhundert versammelten sich Kreolen hier und musizierten mit Blasinstrumenten und Orchestern. Jazz, so heißt es, entstand ja aus der Kombination von afrikanischen Rhythmen und europäischen Instrumenten.
Der Louis Armstrong Park wurde am Freitag nach Reparaturen und Verschönerungen offiziell wieder neu eröffnet. Der Park ist im Viertel Tremé, westlich des French Quarters, und so spielte die Tremé Brass Band (ansehen, anhören), deren Schlagzeuger Lionel Batiste in einem Haus aufwuchs, das in den sechziger Jahren für die Einrichtung des Parks abgerissen worden war. Der Park musste renoviert werden, so heißt es, weil er bei Katrina in Mitleidenschaft gezogen wurde. Tatsächlich gehörte es schon seit ich New Orleans kenne zu den nie überprüften Regeln, dass man in den Louis Armstrong Park eben nicht geht, weil es zu gefährlich ist, wegen Drogendeals, Morden und so weiter. Erst im August diesen Jahres wurde dort eine Frauenleiche gefunden. 
Ich war 2007 einmal zum ersten Congo Square Festival im Louis Armstrong Park, zu einer Zeit, als jedes Festival, jede neue oder wiederbelebte Tradition ein Zeichen der Hoffnung war, die man so sehr benötigte. Das Festival war toll, mit Musik, Essen und Verkaufsständen. Ich bin dann noch ein bisschen im Park herumgelaufen, der irgendwie futuristisch angelegt war, aber sehr heruntergekommen. Die Renovierung des Parks wurde dann ein Prestigeprojekt des scheidenden Bürgermeisters Ray Nagin, wurde aber nach vielen Debatten und Kontroversen dieses Jahr endlich fertig.
Congo Square Festivals gibt es übrigens auch in Chicago (organisiert von der Congo Square Theatre Company), nächstes Wochenende in Kalkutta, 2004 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin und vielleicht noch anderswo? (Gebt mir Bescheid!) Die Tremé Brass Band spielt das nächste Mal am 26. November 2011 im Maple Leaf in New Orleans.

Freitag, 18. November 2011

Die Digedags in New Orleans

Ich war dieser Tage zu Besuch im Südlouisiana meiner Kindheit. Wie die meisten normalen Menschen in der DDR konnte ich natürlich bis zur Wende nicht in den Westen reisen. Ich hatte zwar schon damals meinen Onkel in Amerika und amerikanische Mal- und Märchenbücher, die ich nicht lesen konnte, und Farbfotos mit lächelnden Cousins und Cousinen auf Pferden, mit Autos, in Fantasieuniformen, echt amerikanisch eben. Aber die leben alle in St. Louis, Missouri, ca. 11 Autostunden von New Orleans.
Dass mich eine tiefe Sehnsucht nach New Orleans und Louisiana erfüllte, die später in wahre Liebe umschlagen sollte, das kommt sicher von den Digedags. Wir hatten nämlich ein Abonnement der Comic-Zeitschrift Mosaik. Und im Mosaik reisten die Digedags, die unzertrennlichen Koboldbrüder Dig, Dag und Digedag, ins Weltall, in den Orient, ins Mittelalter, und schließlich in die USA des 19. Jahrhunderts und erlebten die tollsten Abenteuer. Sprachlich vielleicht etwas hölzern, ohne Sprechblasen und Lautmalereien, aber die Handlung ist spannend und ungemein lehrreich. In den USA waren die Digedags Reporter und hatten Gold gefunden, dass sie nach New Orleans bringen und zur Befreiung von Sklaven (die damals noch Neger hießen) einsetzen wollten. Die Figuren und Orte haben amerikanisch anmutende Namen (Jeremy Joker, Turtleville); die Kostüme entsprechen der Zeit, man fährt Schaufelraddampfer und die Häuser sehen anders aus als bei uns. Aber sie sehen auch anders aus als dort, und wenn es immer wieder am Mississippi spielt, sieht das alles in Weitwinkeleinstellungen doch wie ein kleines europäisches Legoland aus und nicht wild und ungestüm, wie die Natur in den USA und vielleicht besonders im Süden ist. Ein imaginäres Louisiana eben, wie so oft. Nebenbei lernt man etwas Geschichte—der Sklavenexpress, die damaligen Bundesstaaten, der anstehende Bürgerkrieg... Natürlich waren die Digedags immer auf der Seite der Guten und Schwachen, und ihre Gegenspieler trugen schwarz und sahen böse aus (Mr. Coffins!).
Irgendwann gab es die Digedags nicht mehr und dafür kamen die Abrafaxe, aber das war einfach nicht dasselbe. Jetzt gibt es das Mosaik wieder und immer noch in Büchern zusammengefasst, so wie diesen Band Die Digedags in New Orleans. Inzwischen gibt es auch eine Mosapedia, die auch eine tolle Wissensquelle ist. 
Wie immer ging auch in New Orleans im Mosaik alles gut aus, die Guten haben gesiegt und ich bin beruhigt wieder nach Berlin zurückgekehrt. Doch die nächsten Abenteuer kommen bestimmt.

Montag, 14. November 2011

New Orleans Fringe Festival

Eigentlich ist New Orleans keine Theaterstadt, würde ich sagen. Ein paar Stücke und Einakter von Tennessee Williams spielen hier, unter anderem Endstation Sehnsucht und Die Glasmenagerie, und es ist ein beliebter Schauplatz für Filme (vor allem Krimis und Unheimliches), Literatur und Fantasyromane. Aber Theater?
Da gab es doch eigentlich nur Le Petit Théâtre du Vieux Carré (Das kleine Theater im French Quarter, seit 1916) und das Saenger Theatre, ein großes varietéartiges Haus, wo ich mal „The Fiddler on the Roof“ (Der Fiedler auf dem Dach) gesehen habe. Beide Theater wurden vom Hurrikan Katrina betroffen und sind derzeit geschlossen.
Diese Woche findet jedoch schon zum vierten Mal das New Orleans Fringe Festival statt, das Theater in die ganze Stadt bringen wird, vor allem in die Viertel Bywater und Marigny gleich beim French Quarter. An fünf Tagen, vom 16. bis 20. November 2011, treten 70 Theatergruppen auf. Am Wochenende sind Familientage, es finden Maskenumzüge statt, Kunst wird gezeigt, und es gibt die Aktion BYOV (Bring your own venue - Bring deinen eigenen Veranstaltungsort), bei der an ungewöhnlichen Orten Theater gespielt wird, wie zum Beispiel im Aquarium, im Zeitgeist-Kino, in einem Kampfsportstudio... 
Zu gern würde ich New Orleans mal als Theaterstadt erleben.

Freitag, 11. November 2011

Für kurzentschlossene Berliner

Mehr Tennessee Williams. Noch bis 13. November jeweils 20 Uhr im Tisch-Theater im Schokohof in der Ackerstraße: Fracture, drei Einakter von Tennessee Williams (This Property Is Condemned, Moony's Kid Don't Cry, The Lady of Larkspur Lotion). Tolle internationale Schauspieler, tolles Bühnenbild. Auf Englisch, mit deutschen Übertiteln.

Donnerstag, 10. November 2011

Liebe Kurzentschlossene,

sollte es mir gestern gelungen sein, Euch von einer Stippvisite beim Faulkner-Festival zu überzeugen, dann hoffe ich sehr, dass Ihr Euch schon auf dem amerikanischen Festland befandet, noch besser im Süden, in Texas, im Mittelwesten, an der Ostküste. Jedenfalls nicht in Berlin. Es ist nämlich gar nicht so einfach, nach New Orleans zu kommen.
1. Es dauert immer noch circa 15-16 Stunden, man muss zwei Mal umsteigen, also zwei Anschlüsse schaffen. Eine schnelle Suche ergab ab 730 Euro hin und zurück, meistens etwas mehr. 
2. Wo steigt man um? In London Heathrow kann es passieren, dass einem ein attraktiver Sikh das Gepäck durchforstet, ansonsten—viel zu groß, zu lange Wege, zu riskant. Paris Charles de Gaulle ist in Ordnung, aber war da nicht vor ein paar Jahren ein Dach eingestürzt? In Frankfurt ist einmal meine ganze Maschine zu spät abgeflogen (Der nächste Anschluss! Der nächste Anschluss!), weil im US-Flügel des Flughafens nur ein Sicherheitsband geöffnet war—die anderen hatten ihre gesetzliche Mittagspause. Bleibt Amsterdam, groß, perfekt organisiert, und bei KLM gibt es einen sanften, blonden Service an Bord. 
3. Wo macht man die Einreise? New York John F. Kennedy—viel zu lange Schlangen. Dann muss man nach Newark oder La Guardia zum Weiterflug, und bei so einer Fahrt quer durch New York kann viel passieren. Atlanta oder Washington, DC, kann man machen. Houston, Texas, mache ich aus Prinzip nicht, weil man dann erst mal zu weit nach Westen fliegt und dann noch mal zurück. Zu KLM und Amsterdam gehört aber Memphis als Umsteigeflughafen, aaah, klein, überschaubar, und man riecht und fühlt schon den Süden.
Hat man all das geschafft, dann erreicht man irgendwann den Louis Armstrong International Airport in New Orleans. Ein Flughafen also, der nach einem legendären Jazzmusiker benannt ist. In dem neu erweiterten, meist ziemlich leeren Gebäude klingt leise Jazz aus den Lautsprechern. Manchmal spielt vielleicht sogar eine live Band zur Begrüßung der Touristen. 
Und wenn man dann nach etwa 16 Stunden Klimatisierung ins Freie tritt, dann mögen andere das Gefühl haben, dass man ihnen ein feuchtheißes Tuch vors Gesicht schlägt. Ich aber treibe Knospen und beginne zu erblühen...

Mittwoch, 9. November 2011

Words & Music: A Literary Feast

Gleich hinter der St. Louis Cathedral am Jackson Square im French Quarter, also drei Minuten vom Mississippi entfernt, befindet sich die „Piratengasse“, die Pirate’s Alley.
William Faulkner (1897-1962) stammte aus dem hübschen Städtchen Oxford im Bundesstaat Mississippi, Heimat von Ole Miss, der University of Mississippi. Oxford liegt ca. 580 km oder 5-6 Autostunden nördlich von New Orleans und wenn man einen Teil der Strecke auf dem Natchez Trace Parkway fährt, einer malerischen historischen Landstraße, dann dauert es natürlich noch länger. (Man könnte zum Beispiel bis Tupelo, Mississippi, fahren und sich das winzige Holzhäuschen ansehen, in dem Elvis Presley geboren und aufgewachsen ist. Westlich von Tupelo, verkehrsmäßig etwas abgeschnitten, liegt Oxford.)
1925 zog William Faulkner für einige Monate in die Piratengasse, verkehrte bei dem Schriftsteller Sherwood Anderson in den Pontalba Apartments gleich um die Ecke, der ihn ermunterte, Romane und über seine Heimat zu schreiben. So entstand sein erster Roman Soldier’s Pay (Soldatenlohn) sowie Sherwood Anderson and Other Famous Creoles gemeinsam mit William Spratling. Und dann verließ er New Orleans und wurde Nobelpreisträger.
Viele Jahre später kauften die Schriftstellerin Rosemary James und ihr Mann Joe DiSalvo das Haus in der Piratengasse und eröffneten einen feinen kleinen Buchladen. Ihre Pirate’s Alley Faulkner Society organisiert seit den 90er Jahren das jährliche Festival Words & Music: A Literary Feast (ein literarisches Fest/Festschmaus). Es findet hauptsächlich im edlen Hotel Monteleone statt (an das mich hier noch ein Silberlöffelchen erinnert) und bedeutet fünf Tage voller Lesungen, Werkstätten, Theateraufführungen, einem Schreibwettbewerb für verschiedene Sparten, Musik und Tanz. Teilnehmen werden Andrei Codrescu und Rodger Kamenetz, bei denen ich u. a. studiert habe, weitere New Orleanser Größen wie Robert Olen Butler und John Biguenet und viele Autoren von anderswo. Die Gewinnerbeiträge des Wettbewerbs werden in der Zeitschrift The Double Dealer Redux veröffentlicht, die jährlich erscheint, neu gegründet nach dem Vorbild der gleichnamigen Zeitschrift der 20er Jahre, die zuerst Faulkner und Hemingway veröffentlichte.
Das Festival beginnt heute und dauert bis 13. November; heute bei 20 Grad mit etwas Regen. Liebe Kurzentschlossene, es ist ein FEST!

Sonntag, 6. November 2011

George Porter Jr. and the Running Pardners

Eigentlich sollte es heute darum gehen, dass Gouverneur Bobby Jindal am 22. Oktober 2011 im ersten Wahlgang wieder gewählt wurde, und zwar mit knapp 66 % gegenüber der demokratischen Kandidatin Tara Hollis mit knapp 18% der Stimmen. Im zweiten Wahlgang am 19. November wird er also nicht bangen müssen, weil für ihn gar keiner stattfinden wird, sondern nur für diverse andere Posten.
Auch Billy Nungesser (sprich: Nandshesser), der den amtierenden Lieutenant Governeur (Vizegouverneur) Jay Dardenne ablösen wollte, braucht nicht mehr bangen, denn er hat es nicht geschafft. Er ist der äußerst beliebte Präsident von Plaquemines Parish, einem Landkreis gleich südlich von New Orleans, wo Katrina direkt an Land ging. Einen Namen gemacht hat sich Nungesser vor allem 2010, als er sich lautstark und medienwirksam für die Aufklärung und Beseitigung der Schäden der BP-Ölkatastrophe einsetzte.
Darum sollte es also gehen, aber dann wurde ich hungrig und schaltete in der Küche NPR Berlin ein,  und es lief die Sendung Beale Street Caravan(Die Beale Street ist, wie man vielleicht weiß, die legendäre Bluesmeile in Memphis, Tennessee. Allerdings heute mehr Legende als Blues.) In der heutigen Sendung ging es um George Porter Jr. aus New Orleans, der bei den Meters und den Funky Meters mit Art Neville mitspielt(e), aber vor allem auch als George Porter and the Running Pardners bekannt ist. Purer Funk aus New Orleans. Fast die gesamte Sendung bestand aus einem Konzertmitschnitt mit ihm (man muss sich anmelden, um den Podcast hören zu können). Ansonsten gibt es noch Youtube. Ich muss jetzt aber erst mal kosten, ob ein wild tanzend gekochtes Abendessen anders schmeckt als ein normales.

Donnerstag, 3. November 2011

Helen Hill und Dinerral Shavers

Ich habe heute einen (eigentlich zwei) Kommentar(e) zu einem Artikel in der Zeit geschrieben: "Polizei hält  das multikulturelle Amerika zusammen" von Eva Schweitzer am 29. September 2011. Mein Kommentar geht ungefähr so: Hier noch eine Ergänzung zur besonderen Situation in New Orleans.
Dass gerade der Mord an Helen Hill im Januar 2007 einen Aufschrei zur Folge hatte, lag daran, dass nur eine knappe Woche vorher der 24-jährige Dinerral Shavers erschossen worden war. Shavers, aus der Ninth Ward in New Orleans, war Trommler der beliebten Hot 8 Brass Band und hatte an der gerade wieder eröffneten L.E. Rabouin High School ein Marschorchester gegründet. Musik, glaubte er, ist lehrreich und wer ein Instrument in der Hand hat, kann keine Waffe in der Hand haben.
Helen Hill, Harvard-Absolventin aus South Carolina, war Dozentin am New Orleans Center for Creative Arts (NOCCA), einer Art Kunstgymnasium, aus dem viele bekannte Musiker hervorgegangen sind. Auf Graswurzelebene engagierte sie sich u.a. für den Wiederaufbau. Wie so viele andere Künstler und Intellektuelle hatte es sie und ihren Ehemann, Paul Gailiunas wegen der einzigartigen Kultur und Geschichte in die Stadt gezogen, auch und bewusst wieder nach Katrina. Gailiunas, ursprünglich aus Kanada, hatte als Arzt eine Klinik für Arme mitbegründet.
Im Fall Dinerall Shavers weiß man, dass die Schüsse eigentlich seinem 15jährigen Stiefsohn galten; doch der Fall Helen Hill ist bis heute ungeklärt. Ihre Familie betreibt eine Webseite; Paul Gailiunas hat gerade einen von ihr begonnenen Film fertig gestellt und auf dem New Orleans Film Festival präsentiert. Was Dinerall Shavers und Helen Hill von den „gewöhnlichen“ Morden abhob, war genau, dass sie der in die Höhe geschnellten Kriminalität kulturelle Betätigung, Volkskultur im besten Sinne, entgegensetzen wollten.
Etwas mehr als ein Jahr zuvor, 2005, hatte New Orleans den Hurrikan Katrina und vor allem seine Folgen erlebt und schon deshalb kann es nicht einfach in einer Reihe mit den anderen Problemstädten genannt werden. Der Hurrikan hatte die Bausubstanz letztendlich weniger beeinträchtigt, als man gemeinhin denkt. Aber die Stadt war wochenlang zwangsevakuiert worden, auch die Bewohner der verschont gebliebenen Viertel mussten ihre Häuser räumen, und es patrouillierte Militär und National-Guard-Truppen anderer Bundesstaaten. Müllabfuhr, Elektrizität und andere grundlegende Dienstleistungen funktionierten monatelang nicht; Schulen blieben geschlossen, Versicherungszuständigkeiten unklar, es wurden beschädigte Häuser weggerissen. Monatelang, jahrelang blieb vor allem die untere Mittelschicht, oft Kreolen, darüber im Unklaren, ob sie zurückkehren könnte oder nicht, ob sie ihrer Häuser wieder bewohnen, sie Arbeit finden und ihre Kinder zur Schule schicken können würden. So sind sie in Houston oder Atlanta geblieben. Die Bevölkerungsstruktur wandelte sich, mexikanische Tagelöhner übernahmen jetzt zum Beispiel die Abrissarbeiten. Nach einigen Monaten der Ruhe kehrten Drogen und das organisierte Verbrechen geballt zurück. Die stabilisierende untere Mittelschicht war nicht mehr da, viele Straßen immer nur noch sporadisch bewohnt und somit unsicher.
Dass die Stadt arm ist und manche ihrer Viertel schon in den 1980er Jahren als „3. Welt“ bezeichnet wurden, das ist auch nationale Politik, die nach Katrina fortgesetzt wurde (der republikanische Nachbarstaat Mississippi erhielt zum Beispiel viel schneller Aufbauhilfen). Korruption und Filz in New Orleans sind hausgemacht, und ein Teil davon liegt auch in den Händen von Afroamerikanern und Kreolen, die letztendlich am meisten von der Gewalt betroffen sind. 
New Orleans braucht ganz sicher mehr als eine effektive Polizei. Aber ein Anfang wäre es.