Montag, 29. August 2011

Liebe taz!

Hier mein (unveröffentlichter) Leserbrief letztes Jahr zu einem Artikel über die Bürgermeisterwahl „Zeitenwechsel am Mississippi: New Orleans verliert an Farbe“, taz vom 6. Februar 2010
„Danke, dass Ihnen das Thema einen längeren Artikel wert ist. Hier mein Kommentar:
Ganz selten ist die Welt einfach nur schwarz-weiß, und in New Orleans ist sie es schon gar nicht. Die Stadt besteht aus einem komplizierten Gefüge mit den verschiedensten ethnischen und kulturellen Schattierungen. Afroamerikaner, wie der letzte Bürgermeister Ray Nagin und wie der Kandidat Troy Henry, sind hier häufig Kreolen und entstammen lang eingesessenen Familien wie auch die berühmten Musikerdynastien Neville und Marsalis. In vielfältigen Hierarchien und Konstrukten leben in New Orleans Schwarze und Weiße hier unweigerlich zusammen und kommen auch heute nicht ohne einander aus.
32 Jahre lang hatte die Stadt, die landesweit für ihre Korruption und Kriminalität bekannt ist, schwarze Bürgermeister, wie Sie schreiben, aber auch Polizeichefs, Bildungssenatoren usw. Bürgermeister Ray Nagin trat 2002 als vom Establishment unabhängiger Geschäftsmann an, um mit diesem Sumpf aufzuräumen, und war für schwarze und weiße New Orleanser eine Lichtgestalt. Doch auch er versagte im Hurrikan Katrina und wurde gebrochen, wie man hier sagt, in einem Inkompetenzgerangel zwischen Bundes-, Staats- und Stadtbehörden. Seit er 2006 überraschend wiedergewählt wurde, hat er vor allem mit schlechten Schlagzeilen von sich reden gemacht. Jetzt sehnt sich die geplagte Stadt nach Klarheit und Übersichtlichkeit und hat sich statt für Mitch Landrieu entschieden, der in die Welt der Politik hineingeboren wurde und vielleicht auch bessere Drähte nach Washington hat.
Im Wahlkampf des abgeschlagenen Zweiten Troy Henry war die Sorge um die Rasse des nächsten Bürgermeisters durchaus thematisiert worden. Nach der Wahl am Sonnabend trat er bei Mitch Landrieus Wahlparty auf die Bühne und feierte dort mit. Auf die Frage, welche Rolle die Rasse bei Landrieus Wahl gespielt hat, sagte er: „Ich glaube, er war der führende schwarze Kandidat“ und: „Mitch wird ein fantastischer Bürgermeister“.
Ob Mitch Landrieu tatsächlich ein guter Bürgermeister wird, der Arbeitsplätze schafft, damit die immer noch woanders Lebenden zurückkehren können, der die Kriminalität senkt, damit die dort Wohnenden wohnen bleiben, der die Stadt vor weiteren Katastrophen schützt und sie auf nationaler Bühne angemessen repräsentiert, all das ist ungewiss. Doch wenn es ihm nicht gelingen sollte, dann sicherlich nicht nur, weil er weiß ist." 

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